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Home » Szene News » Kino.to – die Geschichte eines Millionenreibachs

Das Online-Portal Kino.to steht für den größten Wirtschaftskrimi der deutschen Internet-Szene. Akten und Zeugenaussagen zeigen erstmals, wie die Verurteilten zu Werke gingen. Die Story einer kriminellen Vereinigung.

Wenn morgens kurz nach acht der Wecker von Michael Hatscher klingelt, blickt er auf eine gelb angestrichene Wand und Gitterstäbe vor den Fenstern. Hatscher sitzt im Gefängnis, teilt sich zwei 15 Quadratmeter kleine Zimmer mit einem weiteren Häftling. Hier, hinter Stacheldraht in einem Backsteinbau im Zentrum der sächsischen Stadt Zwickau, verbringt der 48-Jährige seine Nächte. Tagsüber darf der gelernte Einzelhandelskaufmann raus, um zu arbeiten – einige Hundert Meter entfernt, von 10 bis 19 Uhr, in einem Handyladen in der Fußgängerzone. Danach hat er noch ein paar Minuten, um bei Rewe um die Ecke Getränke zu kaufen. Spätestens um 19.30 Uhr muss er wieder im Gefängnis sein.

Seit dem 21. März dieses Jahres ist das Hatschers Tagesablauf. Und es soll noch bis Juni 2015 so gehen. Es sei denn, er wird vorzeitig auf Bewährung entlassen.

Vor eineinhalb Jahren noch führte Hatscher ein komfortableres Leben. Er war einer der Köpfe von Kino.to, der wohl erfolgreichsten Internet-Seite Deutschlands. Das Portal galt als erste Adresse, um kostenlos Kinofilme und Fernsehserien am PC zu schauen. In der Spitze tummelten sich vier Millionen Besucher am Tag auf der Web-Site und genossen einen Streifen nach dem anderen. Zur Auswahl standen zuletzt Kopien von 21 000 Kinofilmen, 107 000 TV-Serien-Folgen und 7000 Dokumentarfilmen.

Kino.to machte einen Millionenreibach durch Werbung, die auf der Web-Site lief. Hatscher und seine Kollegen hatten ein ganz „neues Medium neben Fernsehen und Lichtspielhäusern“ geschaffen, sollten Ermittler später feststellen. Kino.to arbeitete so erfolgreich, dass seine Macher sogar erwogen, Ableger im Ausland zu gründen.

Startschuss mit Schuhmacher
Das Geschäft hatte nur einen Nachteil: Es war illegal. Die Filme und TV-Serien auf Kino.to waren allesamt unerlaubt kopiert. Am Ende sollte das Unterfangen als größter Urheberrechtsklau in die noch junge Internet-Geschichte Deutschlands eingehen.

Es ist nach 19.30 Uhr, eigentlich müsste Hatscher längst zurück im Knast sein. Doch heute sitzt er, in Jeans und Hemd gekleidet, in einer Bierkneipe in der Zwickauer Innenstadt und nippt an einer Cola. Er darf länger frei herumlaufen, weil die WirtschaftsWoche der Vollzugsanstalt auf einem Formular bestätigen wird, dass Hatscher seine und die Geschichte von Kino.to erzählt haben wird. Eineinviertel Jahre zuvor, im Februar 2010, hatte die WirtschaftsWoche erstmals Details der Jagd nach Hatscher und seinen Kollegen geschildert.

Hatscher kann sich an jenen Tag, als Kino.to binnen Stunden zusammenbrach, nur noch verschwommen erinnern. Es war Mittwoch, der 8. Juni 2011, als bewaffnete Polizisten seine dreistöckige Luxuswohnung in einer Zwickauer Villa stürmten und der Staatsanwalt Kino.to ein für alle Mal abschaltete. Rund ein halbes Jahr später, am 21. Dezember 2011, verurteilte das Amtsgericht Leipzig Hatscher zu dreieinhalb Jahren Haft.

Wie der Sachse und seine Komplizen es so weit bringen konnten, wie es ihnen gelang, Millionen Deutsche zu Schwarzsehern zu machen, was das runde Dutzend beteiligter Männer und Frauen antrieb und wie sie zu Werke gingen, all das blieb bis heute unter Verschluss. Hatschers Schilderungen sowie die Ermittlungsakten von Polizei und Staatsanwaltschaft zeichnen nun erstmals ein vollständiges Bild dieser großen Online-Bambule gegen die internationale Film- und Fernsehindustrie: eine Melange aus Naivität, Geltungssucht, krimineller Energie und Überheblichkeit, die den Beteiligten am Ende zum Verhängnis wurde.

Wie alles begann
Die Geschichte von Kino.to beginnt, lange bevor das Portal 2008 zum ersten Mal im Internet auftaucht. Es ist das Jahr 2001. Der deutsche Rennfahrer Michael Schumacher dominiert gerade die Formel 1. Motorsportfan Hatscher, der nach der Wende zwei Fotoläden betrieben und später ein Bowlingcenter und mehrere Spielhallen geleitet hat, ist davon so begeistert, dass er im Web ein Diskussionsforum über die Rennserie startet, in dem sich Formel-1-Fans austauschen können. Mit dem so gewonnenen Wissen über das Internet beginnt der damals 37-Jährige in seiner Freizeit, Speicherplatz für Daten bei Anbietern von Großrechnerleistung anzumieten und gegen Bezahlung weiterzuvermieten. Das Geschäft läuft so gut, dass Hatscher hierzu eine Firma namens Europe-Space Network gründet. Europe-Space prosperiert und sorgt für Hatschers Lebensunterhalt.

Irgendwann zu jener Zeit berichtet Dirk B. aus Leipzig einem Europe-Space-Kunden von einem Problem, das er gerade bei einem Projekt im Web hat. Der Europe-Space-Kunde empfiehlt Dirk B., sich an Hatscher zu wenden.

Dirk B. ist damals 29 Jahre alt, von Haus aus Fußbodenleger, wohnt in Leipzig und hat wie Hatscher das Internet als einträgliche Einnahmequelle entdeckt. Dazu baut er gerade eine Online-Tauschbörse namens Saugstube auf. Nutzer können hier Filme und Musik herunterladen und gleichzeitig anderen Stücke anbieten. Dazu benötigt Dirk B. für möglichst wenig Geld einen leistungsfähigen Großrechner, einen sogenannten Server, der für ihn die Daten speichert und verarbeitet.

Der entscheidende Kick
Hatscher, von Dirk B. darauf angesprochen, weiß Rat. Er kennt ein Schnäppchen-Angebot aus den USA. Da Hatscher anders als Dirk B. nicht nur gut Englisch spricht, sondern auch eine Kreditkarte besitzt, schließt er für Dirk B. den Vertrag mit dem US-Anbieter. Hatscher beteuert bis heute, dies gemacht zu haben, ohne zu wissen, was Saugstube.de überhaupt ist. Dirk B. verfügt damals, wie die Staatsanwaltschaft später bestätigt, „wegen einer Firmenaufgabe“ über kein Bankkonto.

Dirk B.’s Saugstube.de floriert. Ende 2002 saugt die Web-Site immer mehr Nutzer an. Zudem zieht Dirk B. zunehmend Werbung auf das Portal. Zum Dank für die Hilfe wirbt er für Hatschers Firma Europe-Space auf Saugstube.de. So profitiert auch Hatscher vom Erfolg. Viel mehr haben beide zu dieser Zeit nicht miteinander zu tun, sagt Hatscher.

Doch das soll sich ändern. 2004 hat Dirk B. wieder Probleme mit dem Internet. Der Server des Anbieters in den USA reagiert ihm zu langsam. Dirk B. sucht nach » » einer Alternative. Wieder ist es Hatscher, der hilft. Hatscher verhandelt via Skype-Videokonferenz mit Rechenzentren und wird fündig. Daraufhin verlagert Dirk B. den Betrieb von Saugstube.de auf einen Großrechner in Holland.

Der Wechsel ins europäische Nachbarland erweist sich für Dirk B. als Glücksgriff. Der Umsatz von Saugstube wächst rasant, ebenso die Zahl der Nutzer. Dirk B. entscheidet, sein Geschäft zu professionalisieren. 2005 reist er nach Lloret de Mar an der spanischen Costa Brava. Dort gründet er die Firma PAD Medianet, eine Kapitalgesellschaft, die als Hülle für die Geschäfte seiner Web-Site und künftiger Internet-Unternehmen dienen soll. Dirk B. entscheidet sich für den Firmensitz in Spanien unter anderem, weil die Behörden dort als weniger aktiv bei Internet-Delikten gelten.

“Etwas mit Streaming”
In den kommenden drei Jahren treffen sich Hatscher und Dirk B. immer häufiger, reisen gemeinsam nach Spanien, freunden sich an. Hatscher hilft Dirk B. gar, eine Wohnung in Lloret de Mar einzurichten.

Den entscheidenden Kick bekommt die Freundschaft im April 2008, als Dirk B. Hatscher in sein neues Wunderwerk einweiht. Er habe, so Dirk B., eine ganz neue Seite programmieren lassen, „etwas mit Streaming“. Hatscher behauptet, zu diesem Zeitpunkt technisch nicht auf der Höhe der Zeit gewesen zu sein. „Ich wusste gar nicht so recht, was Streaming ist“, sagt er heute über die Technologie, bei der Nutzer wie bei YouTube Internet-Videos in Echtzeit abspielen können. Dirk B. nennt seine neue Web-Site Kino.to. Den Namen hatte er sich schon 2006 gesichert. Die Internet-Seite ist im Südsee-Staat Tonga registriert, unter falschem Namen und falscher Adresse.

Die Idee für das Streaming-Portal Kino.to hatte jedoch nicht Dirk B. Sie stammt von einem jungen Wiener Internet-Unternehmer namens Valentin Fritzmann. Das sagte der spätere Kino.to-Technikchef Bastian P. vor Gericht in Leipzig. Fritzmann habe ihm von Web-Sites wie Kino.to in den USA berichtet, die sehr erfolgreich liefen.

Der Österreicher sorgt dafür, dass Kino.to zum Millionengeschäft wird. Er bucht binnen kurzer Zeit den größten Teil der Werbefläche auf der Web-Site. Dafür überweist er Dirk B. jeden Monat um die 150 000 Euro. Laut Hatscher kommt der Umsatz von Kino.to anfangs fast ausschließlich von Fritzmann, erst später auch von anderen Werbekunden.

Immer krimineller
Dirk B. weiß, mit wem er sich einlässt. Mindestes einmal reist er nach Wien, um Fritzmann zu treffen. Die Firmengruppe des Österreichers und seines Vaters Robert steht nicht nur hinter einem beliebten deutschen Internet-Portal für Hacker und Raubkopierer namens Gulli.com. Das Familienunternehmen verdient sein Geld auch damit, ahnungslosen Internet-Nutzern Abos für Software zu verkaufen, die sie eigentlich kostenlos haben könnten. Daneben betreibt Fritzmann ein Callcenter, um die Überweisungen dafür einzutreiben. Gelingt das nicht, setzt er Anwälte auf die Opfer an. Dirk B. stört sich an Fritzmanns Geschäften nicht, Hauptsache, das Geld fließt.

Und das tut es. Kaum freigeschaltet, erweist sich Kino.to als Bombenerfolg. Nach nur zwei Wochen bringt es die Web-Site auf 40 000 Besucher pro Tag. Mehrfach bricht das Portal unter dem Ansturm zusammen. Dirk B. braucht noch mehr Server, Hatscher hilft und wird damit für Dirk B.’s Kino.to zur Hebamme. „Ich habe in Amsterdam neue Server gemietet, das war die Geburtsstunde von Kino.to“, sagt Hatscher. Dass dies zugleich der Zeitpunkt ist, an dem er sich endgültig strafbar gemacht hat, wird Hatscher sich in gut drei Jahren vorhalten lassen müssen.

Zunächst plagen die zwei jedoch andere Probleme. Alles läuft zu provisorisch. Dirk B. kopiert von Hand Internet-Links zu raubkopierten Filmen in eine Datenbank. Die Links klaut er sich von anderen Web-Sites meist aus den USA zusammen. Was fehlt, ist eine echte Benutzeroberfläche für Kino.to, in die Dirk B. geklaute Filme problemlos einpflegen kann. Das Problem löst Bastian P., der bei Hamburg wohnt. Bastian P. und Dirk. B kennen sich seit der Schulzeit. Bastian P. arbeitet immer mal wieder für Dirk B., erst neben dem Philosophie-Studium, später Vollzeit.

Auf Bastian P. geht die erste Version der Web-Site Kino.to zurück. Durch ihn erlebt Kino.to den endgültigen Durchbruch. Nun können Nutzer selbst Filme einstellen. Dazu müssen sie sich über ein elektronisches Kontaktformular die Freigabe bei den Kino.to-Betreibern besorgen. Die Entscheidung, wer Kino.to mit geklautem Material versorgen darf, trifft ein Kreis von acht zentralen Personen, die mittlerweile bei Kino.to mitwirken. Zu ihnen zählen neben Hatscher und Dirk B. auch Bastian P. und die Eheleute Karin und Bernd N., die aus einem kleinen ostfriesischen Dorf stammen und als Angestellte für Kino.to arbeiten.

„Am Anfang gingen die Links ohne Kontrolle online, später wurde jeder Link geprüft“, erinnert sich Hatscher. Damit wollen die Kino.to-Macher verhindern, dass Kinderpornos bei ihnen landen und die Polizei die Web-Site ins Visier nimmt.

Je besser das Geschäft mit den Raubkopien läuft, desto mehr wird Kino.to zum richtigen Unternehmen. Bastian P. avanciert zum technischen Leiter. Es erfordert viel Arbeit, die vielen Links zu geklauten neuen Filmen freizuschalten. Dirk B. stellt deshalb Helfer ein. Die Mitarbeiter müssen am Tag je bis zu 3000 Links prüfen und freigeben, dafür zahlt Dirk B. ihnen zwischen 2000 und 3000 Euro pro Monat. Dreimal die Woche tagt via Skype-Konferenz der enge Kreis der Kino.to-Macher. Sitzungen im größeren Kreis finden alle 14 Tage statt.

Während Kino.to boomt, wird Hatscher mit seinem eigenen Unternehmen Europe-Space langsam unzufrieden. Im Juli 2008 laufen die Geschäfte schlecht. Da hat Dirk B. eine Idee. Er fragt Hatscher, erzählt dieser, ob er einen Filehoster einrichten wolle. Das ist ein Internet-Portal, in das Kino.to Filme und Serien direkt einstellen könnte, ohne ständig nur auf andere Videostreamingportale wie Megavideo verlinken zu müssen. Denn Kino.to ist zu der Zeit nicht mehr als eine bessere Internet-Seite mit vielen Links.

Hatscher willigt ein. Binnen zwei Tagen programmiert er den Filehoster Freeload.to. Den ersten Film, den er einstellt, rufen binnen Stunden 2000 Nutzer ab. Es ist der Streifen „Sex and the City“. Keine Woche später steigt die Zahl auf 10 000 Nutzer täglich. Dirk B. und seine Leute werden zu Meistern, illegal kopierte Filme und Tonspuren zu besorgen, meist aus konspirativen passwortgeschützten Internet-Zirkeln. Dort bieten Raubkopierer aus aller Welt, die die Streifen im Kino abgefilmt oder DVD-Prototypen kopiert haben, ihre Beute an.

Gemeinsame Weihnachtsfeier in 2008
Entsprechend konspirativ ist das Klima auch bei Kino.to. Viele Beteiligte kennen sich nur aus Videokonferenzen. Um die Stimmung zu verbessern, lädt Dirk B. im Dezember 2008 zur gemeinsamen Weihnachtsfeier. Die Zugereisten aus ganz Deutschland treffen sich im Steakhouse Escados in der Leipziger Innenstadt. Man spricht über alles Mögliche, nur nicht über Kino.to. Die Teilnehmer sind voneinander so angetan, dass sie sich auch 2009 und 2010 treffen wollen.

Bis dahin lassen es sich die Macher von Kino.to gut gehen. Hatscher erreicht zunächst ein Einkommen von 7000 bis 8000 Euro im Monat, 2009 sind es 15 000 Euro. Der zweifache Vater, der von seiner Frau getrennt lebt, bereist die Welt und ist einen Großteil des Jahres unterwegs: Singapur, Kuala Lumpur, Hongkong, Tokio. Besonders Asien tut es Hatscher an. Auf den Philippinen lernt er seine heutige Freundin kennen.

Zugleich achtet Hatscher darauf, dass er in der Öffentlichkeit nicht allzu sehr auffällt. Er kauft sich einen schlicht wirkenden Audi A4 Avant, allerdings mit 3-Liter-Motor und Vollausstattung. Preis: 70 000 Euro. In sein letztes Domizil vor der Verhaftung, eine repräsentative 175-Quadratmeter-Wohnung über drei Etagen in einer alten Villa mit Aussichtsturm, wird er 2010 ziehen.

Dirk B. als Kino.to-Chef und Eigentümer verdient inzwischen Millionen. Doch ihn zieht es nicht in die große weite Welt, sondern immer häufiger in die spanische Rummelhochburg Lloret de Mar, wo sein Unternehmen PAD Medianet sitzt. Irgendwann entschließt er sich, ganz nach Lloret zu ziehen, 2009 schließlich nach Mallorca.

Es wird eng
Anders als Hatscher wirft Dirk B. mit Reichtum um sich. Er kauft sich Luxuskarossen: erst einen Audi Q7, dann einen Audi Q7 V12 und einen Mercedes G AMG, kurz vor seiner Verhaftung noch den Supersportwagen Audi R8. Und er legt sich eine Kreditkarte nach der anderen zu. „Als Kompensation dafür, dass er anfangs keine hatte“, sagt Hatscher. „Ich habe versucht, auf dem Teppich zu bleiben, und ihn immer gewarnt, nicht so viel Aufsehen zu erregen.“

Fühlen sich Dirk B., Hatscher und Bastian P. anfangs vor Verfolgern sicher, kommen sie im Laufe des Jahres 2009 zunehmend in die Bredouille. Beim Serverbetreiber Euroaccess in Holland, mit dessen Hilfe Kino.to die Raubkopien unter die Internet-Nutzer bringt, beschweren sich immer mehr Filmstudios und Verleiher über Urheberrechtsverletzungen. Zudem verklagt die holländische Antipiraterie-Organisation BREIN den Serverbetreiber.

Dirk B. und inzwischen auch Hatscher spüren, dass es eng werden könnte. Aufhören, berichtet Hatscher, kommt nicht infrage. Stattdessen kommt ihnen der Zufall zur Hilfe. Ein Deutsch-Russe unter ihren Helfern kennt einen Serverbetreiber bei Moskau, stellt den Kontakt zum Unternehmen her. Dirk B. und Hatscher entscheiden daraufhin, mit ihren Kino.to-Daten von Holland nach Russland zu fliehen.

Die Opfer wehren sich
Unterliefen die beiden mit Kino.to bis dahin eher dreist das Urheberrecht, entfalten sie nun ganz gezielt Energie, um staatlichen Verfolgern ein Schnippchen zu schlagen. Hatscher und Bastian P. programmieren die Kino.to-Web-Site so um, dass niemand von Russland aus sie erreichen kann. Damit kann der Server, auf dem Kino.to läuft, auf russischem Staatsgebiet keine Urheberrechte verletzen und von dortigen Behörden auch nicht verfolgt werden.

Zwar halten die Betreiber von Kino.to so erst einmal die russische Staatsmacht auf Abstand. In den Folgemonaten muss Hatscher jedoch immer wieder mit den Russen telefonieren, weil zunehmend Hacker Kino.to so lange angreifen, bis die Web-Site zusammenbricht. Hinter den Attacken steckt meist das Konkurrenzportal Movie2k.to. Hatscher vermutet aber auch, dass einige Videothekenketten, die besonders von Kino.to getroffen sind, Angriffe veranlassen.

Als Hatscher im Februar 2010 in der WirtschaftsWoche liest, wie die Filmbranche Jagd auf Kino.to macht, wird es ihm mulmig. „Es wurde mir klar, dass ich mit Copyrightverletzung Geld verdiene“, behauptet er heute. Gleichwohl gibt er zu, sich schon vorher Scheinadressen in Zwickau ausgedacht zu haben, die er zur Registrierung etwa bei Serverbetreibern benutzt hat. Als die in dem Artikel auftauchten, räumt er zudem ein, „da wurden wir hellhörig, haben unsere Sicherheitsvorkehrungen noch mal verbessert“.

Tatsächlich lassen sich Dirk B., Hatscher und Co. bis zu ihrer Verhaftung im Juni 2011 noch einige „Sicherheitsvorkehrungen“ einfallen, um die Spuren besser zu verwischen. So bezahlt Kino.to die Mitarbeiter, die Filme prüfen und freischalten, bald nicht mehr über Dirk B.’s Firma PAD Medianet im spanischen Lloret de Mar. Denn auch diese wurde in dem WirtschaftsWoche-Artikel ausdrücklich genannt.

Löhne nur noch bar
Stattdessen springt Kino.to-Technik-Chef Bastian P. mit seiner Firma Prompt Systems ein. Um an ihr Geld zu kommen, mussten die Mitarbeiter Rechnungen „über angeblich erbrachte Web-Dienstleistungen“ schreiben, heißt es in der Anklageschrift gegen Dirk B. Von November 2010 an zahlt Kino.to die Löhne dann nur noch bar aus.

Derweil wird Dirk B. der Chefposten bei Kino.to zu stressig. Er zieht sich aus dem operativen Geschäft zurück und überlässt Bastian P. den Job. Der erhält dafür von Kino.to fürstliche 60 000 Euro pro Monat.

Irgendwann im Sommer 2010 fallen die miteinander verheirateten Mitarbeiter Bernd und Karin N. auf. Sie lassen sich von anderen Videoportal-Betreibern bestechen, um deren Filme auf der Kino.to-Web-Site prominenter zu platzieren. Dadurch rufen mehr Nutzer die Filme ab, das fremde Videoportal verdient mehr. Als Dirk B. davon erfährt, gerät er außer sich und feuert die zwei. „Ich habe danach versucht, ihn zu überreden, sie machen zu lassen“, erinnert sich Hatscher, der zu dieser Zeit unterwegs auf den Philippinen und nur via Skype erreichbar ist. Doch ohne Erfolg.

Damit läutet Dirk B. für Kino.to das Totenglöcklein. Denn Bernd und Karin N. schalten auf Rache. Ende 2010 schreiben sie an die Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen (GVU). Hinter der von Matthias Leonardy geführten GVU stecken mehrere amerikanische Filmstudios wie Warner, Sony und Disney. In einer E-Mail bietet das Paar Insiderinformationen über Kino.to an und verlangt dafür ein Honorar in Millionenhöhe.

Die Verhaftung rückt näher
Von da an geht alles ganz schnell. Die GVU prüft die Glaubwürdigkeit der Absender. Ein Mitarbeiter trifft sich mit Bernd und Karin N. Sodann treibt die GVU bei ihren Mitgliedern in der Filmbranche einen sechsstelligen Euro-Betrag auf. Bernd und Karin N. erklären sich mit der Summe zufrieden und übergeben das Material. Anfang 2011 stellt die GUV Strafanzeige in Dresden gegen die Betreiber von Kino.to. „Bis zur Verhaftung waren wir sicher“, behauptet Hatscher. „Wir sind am Ende nur aufgeflogen, weil wir aus unseren eigenen Reihen verraten wurden.“

Harte Gefängnisstrafen gegen Raubkopierer gab es zu jener Zeit in Deutschland noch keine. „Ich wusste, dass die GVU auf mich zukommen, Fragen stellen könnte“, sagt er, während er noch mal an seiner Cola nippt. „Für mich war Kino.to aber nie eine strafbare Handlung. Bis zu jenem Moment, als die Polizei in meiner Wohnung stand, hätte ich nie gedacht, dass ich je verhaftet oder gar verurteilt würde.“

Inzwischen sind die meisten Kino.to-Macher verurteilt, Firmengründer Dirk B. zu viereinhalb Jahren Haft, Technik-Chef Bastian P. zu drei Jahren und zehn Monaten. Bisher unbehelligt sind die Österreicher Valentin und Robert Fritzmann.

Hatscher bastelt derweil an seiner Zukunft als Internet-Gründer nach der Entlassung. Jede Minute, die er einen eigenen Computer habe, nutze er dafür, sagt er. Die Benutzeroberfläche seines neuen Portals sei programmiert. „Es hat mit Sprachen zu tun“, deutet er an, „und diesmal ist alles völlig legal.“ Mehr will er noch nicht verraten.

http://www.wiwo.de/unternehmen/it/gr…s/7588428.html

2 Responses so far.

  1. TheRotkit sagt:

    Wirklich interessanter Artikel. Weiter so.


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